Das vermeintliche SIDS-Risiko im Familienbett
Meine Fachfrau ist Autorin für Familienthemen. Sie hat sorgfältig zugängliche Studien verglichen, zuverlässig recherchiert und mir ihre Ergebnisse zur Verfügung gestellt. Vielen Dank dafür! Die Quellen sind glaubwürdig und werden im Anschluss aufgeführt. Mit einem solchen Thema gehe ich sehr vorsichtig um. Deswegen haben Sie unter dem Link die Möglichkeit, einige der Studien einzusehen.
Der Plötzliche Kindstod versus Familienbett
Co-Sleeping – ein Risiko? So kuschelig es im Familienbett sein mag – bei vielen Eltern bleibt die Angst im Hinterkopf: Ist das nicht gefährlich? Kein Wunder, schließlich werden Mütter und Väter auch heute noch von vielen Seiten vor dem gemeinsamen Schlafen gewarnt. Beispiele: Sowohl die „Gemeinsame Elterninitiative plötzlicher Säuglingstod“ als auch verschiedene medizinische Fachverbände wie die Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe sowie die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin e.V. empfehlen: Babys im ersten Jahr im Elternschlafzimmer schlafen lassen, aber im eigenen Bett! Nora Wohlfahrt
Der Pötzliche Kindstod ist und bleibt ein Rätel
Der Grund für diese Empfehlung: Die Angst vor dem pötzlichen Kindstod. Diese noch immer häufigste Todesursache im ersten Lebensjahr stellt Wissenschaftler und Mediziner vor ein Rätsel: Niemand weiß, woran die Babys genau sterben. Verschiedene Studien haben aber gezeigt, dass Eltern das Risiko für ihre Kinder senken können, wenn sie drei Dinge beachten: Nicht rauchen! Kind auf den Rücken legen! Schlafsack statt Zudecke! Seit diese Tipps verbreitet werden, ging in Deutschland die Zahl der Todesfälle drastisch zurück. Die Empfehlung, Babys nicht im Elternbett schlafen zu lassen, leitet sich aus verschiedenen Studien ab, die ein erhöhtes Risiko für den plötzlichen Kindstod zeigen, wenn Eltern mit ihrem Kind das Bett teilen und mindestens einer von ihnen gleichzeitig Raucher ist. Diese Kombination von Risiko-Faktoren wird in pauschalen Empfehlungen für alle Eltern oft nicht genügend ausdifferenziert. So ist etwa in einer Broschüre zum sicheren Babyschlaf des Landes Rheinland-Pfalz zu lesen, Co-Sleeping mache das Eintreten des plötzlichen Kindstod 15 Mal so wahrscheinlich – dabei wurde diese Zahl in einer Studie in einer Gruppe von ausschließlich rauchenden Eltern ermittelt und auch so veröffentlicht! Die einzige Studie, die einen Zusammenhang zwischen dem Co-Sleeping nicht rauchender Eltern und einem erhöhten Risiko für den plötzlichen Kindstod zum Ergebnis hat, ist die Untersuchung R.G. Carpenters. Er verglich 745 SIDS-Todesfälle aus 15 Ländern und stellte fest: Auch bei nicht rauchenden Eltern ist das Risiko für den plötzlichen Kindstod in den ersten sieben Lebenswochen im Elternbett erhöht. Allerdings wies Carpenter in derselben Studie auch nach, dass Kinder nach der siebten Woche kein erhöhtes und nach der 22. Woche sogar ein reduziertes SIDS-Risiko haben (1). Nora Wohlfahrt
Stillen und Familienbett schützt die Kinder
Viele andere neuere Studien sprechen dagegen. Vor allem ein in der Diskussion um die Vermeidung von SIDS-Risiken bislang oft vernachlässigter Punkt ist hier maßgeblich: die schützende Wirkung des Stillens. Mehrere Studien konnten belegen, dass Stillen das SIDS-Risiko um 20 bis 50 Prozent (!) senkt (3). Weitere Studien konnten belegen, dass Co-sleeping die Stillquoten erhöht und in diesem Sinne vor dem plötzlichen Kindstod schützt (4). Dies ist für Deutschland besonders interessant, da hier nur 10 Prozent aller Babys die von der WHO dringend empfohlenen 6 Monate gestillt werden (5). In neueren Studien konnte außerdem gezeigt werden, dass Co-Sleeping nicht nur indirekt durch Erleichterung des Stillens dem plötzlichen Kindstod vorbeugt, sondern auch direkt vor SIDS schützen kann (6). Gestillte Kinder im Familienbett werden signifikant häufiger intuitiv in Rückenlage gebettet, aus der heraus sie am leichtesten nachts in Stillposition gebracht werden können. Unbewusst regulierten die Mütter durch sanfte Berührungen bei ihren Babys die Schlaf-Körpertemperatur der Babys und verhinderten so intuitiv einen Haupt-Risikofaktor: Überhitzung. Schlafen Säuglinge nachts bei ihren Müttern, sind die Bewegungen von Mutter und Kind aufeinander abgestimmt, sie wachen beide häufiger auf und verbringen mehr Zeit in aktiven Schlafphasen (= schlafen weniger tief) im Vergleich zu getrennt schlafenden Mutter-Kind-Paaren. Die noch unzureichende Fähigkeit des Säuglings, aus dem Schlaf zu erwachen, wurde in einigen SIDS-Untersuchungen als Todesursache vermutet. Lange Tiefschlafphasen verschlimmern diese unzureichende Fähigkeit unter Umständen. McKenna nimmt deshalb an, dass die psychologischen Gegebenheiten beim gemeinsamen Schlaf von Mutter und Kind, insbesondere wenn das nächtliche Stillen hinzukommt, manchen Babys helfen, nicht in einen gefährlichen - weil zu tiefen Schlaf - zu fallen. Dafür spricht auch die Tatsache, dass in Kulturen wie Japan oder Hong-Kong, in denen Co-sleeping ebenso selbstverständlich wie das junge Mütter weder rauchen noch Alkohol trinken ist, im internationalen Vergleich mit den niedrigsten SIDS-Raten überhaupt aufwarten können (7). Nora Wohlfahrt
Die umstrittenen Studienergebnisse Carpenters
werden seit ihrer Veröffentlichung kontrovers diskutiert, Epidemiologen kritisieren den Aufbau der Studie, insbesondere die geringe Auswahl von Kindern sowie die Tatsache, dass sie aus 15 von ihren sozialen und gesundheitlichen Standards nicht vergleichbaren Ländern stammen. Die WHO-/Unicef-Initiative „Babyfreundliches Krankenhaus“ legt in einer Erläuterung ihrer Haltung zum Thema Bed-Sharing dar, dass durch die kleine Gruppe in der Studie fragliche Ergebnisse erzielt wurden: So wurde in Carpenters Studie beispielsweise ein erhöhtes SIDS-Risiko für Kinder nicht verheirateter Eltern ermittelt, das mit einem Faktor von 1,79 sogar noch über dem in der Studie ermittelten Risiko für nicht rauchende mit ihren Kindern in einem Bett schlafende Mütter liegt (1,61). In einer anderen Studie zum Thema Co-Sleeping, bei der 325 SIDS-Fälle in England mit einer Kontrollgruppe von 1300 Kindern verglichen wurden, konnte ausdrücklich keinerlei Risikoerhöhung durch Co-Sleeping bei nicht rauchenden Eltern festgestellt werden (2) . Die Frage ist also: Ist es gerechtfertigt, aufgrund dieser unsicheren Datenlage in den ersten sieben Lebenswochen allen Eltern vom Co-Sleeping abzuraten? Nora Wohlfahrt
Stillen & Co-Sleeping beugt dem Plötzlichen Kindstod vor
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) empfiehlt deshalb zur Prävention des Plötzlichen Kindstods jungen Müttern dringend, ihr Baby zu stillen und es mit zu sich ins Bett zu nehmen, wenn es ihnen und ihrem Partner damit gut geht. Dies stuft die WHO als besten Schutz vor dem plötzlichen Kindstod ein, sofern niemand im Familienbett Raucher/in oder betrunken ist oder unter dem Einfluss von Medikamenten steht. Im Familienbett sollte das Baby auf dem Rücken und in einem Schlafsack gebettet werden, Wasserbetten und Sofas sind als Familienbett nicht geeignet. Und: Weil Babys im Familienbett viel Körperwärme kriegen, brauchen sie weniger warme Nachtkleidung als Kinder, die in der Wiege schlafen. Die Raumtemperatur sollte möglichst zwischen 16 und 18 Grad betragen (8). Nora Wohlfahrt Die Quellen
(1)Carpenter, R.G. et al: Sudden unexplained infant death in 20 regions in Europe: case control study. Lancet, 2004.
(2) Blair P.S., Babies sleeping with parents: case-control study of factors influencing the risk of sudden infant death syndrome. Bmj, 1999
(3) Alm, B et al: A case control study of smoking and sudden infant death syndrome in the scandinavian countries, 1992 to 1995. The Nordic Epidemiological SIDS Study. Arch Dis Child, 1998.
Dwyer, T. and A.L. Ponsonby, Sudden Infant Death Syndrome – insights vom epidemiological research. Epidemiol Community Health, 1992.
Bruen, M.J.: SIDS and breastfeeding. Human Lactat., 1991.
Findeisen, M et al: German Study on sudden infant death: design, epidemiological and pathological profile. International Journal of Legal Medicine, 2004.
Mc Vea, K.L: et al: The role of breastfeeding in sudden infant death syndrome. Human Lactat., 2000.
Ford, R.P.: Breastfeeding and the risk of sudden infant death syndrome. Int. Journal of Epidemiology, 1993.
Guffanti, S. et al: SIDS. Pediatr. Med. Chir., 2004.
(4) Chen, A. and W.J.Rogan: Breastfeeding and the risk of postneonatal death in the United States. Pediatrics, 2004
Chen, A. and W.J.Rogan: Breastfeeding and the risk of postneonatal death in the United States. Pediatrics, 2004
Gay, C.L., K.A. Lee and S.Y. Lee: Sleep patterns and fatigue in new mothers and fathers. Biol. Res. Nursery, 2004.
McKenna, J.J. et al: Bedsharing promotes breastfeeding. Pediatrics, 1997.
McKenna, J.J. et al: Experimental studies of infant-parent co-sleeping: mutual physiological and behavioral influences and their relevance to SIDS. Early Human Development, 1994.
(5) Dulon, M. und M. Kersting: Stillen und Säuglingsernährung in Deutschland – die „SuSe“-Studie. In: Ernährungsbericht 2000. Deutsche Gesellschaft für Ernährung, 2000. S. 81 – 95.
(6)McKenna, J.J. et al: Bedsharing promotes breastfeeding. Pediatrics, 1997.
McKenna, J.J. et al: Experimental studies of infant-parent co-sleeping: mutual physiological and behavioral influences and their relevance to SIDS. Early Human Development, 1994.
Young, J. et al: Night-time behaviour and interactions between mothers and their infants of low risk for SIDS: a longitudinal study of room-sharing and bed-sharing. University of Bristol, 1999.
Sears, William: Nighttime Parenting and Sudden Infant Death Syndrome. New Beginnings, 1999.
(7) Siehe: http://www.sidsinternational.org/statistics.html
(8) Vgl. „Darf ich mein Baby mit ins Elternbett nehmen?“ Informationsblatt der Initiative „Babyfreundliches Krankenhaus“ von WHO und Unicef sowie „Kommentar und Bibliographie zur Bed-Sharing-Empfehlung der WHO/Unicef-Initiative Babyfreundliches Krankenhaus“, beides herunterzuladen unter www.babyfreundlich.org